Von Martin Suchanek, Infomail 1277, 24. Februar 2025

Friedrich Merz wird wohl nächster Kanzler der Bundesrepublik werden. Das wussten wir allerdings auch schon vor den Wahlen, wie das Gesamtergebnis wenig überraschend war – einmal von der höchsten Wahlbeteiligung seit 1987 und vom Erfolg der Linkspartei abgesehen.

ParteiCDU/CSUAfDSPDGrüneDIE LINKEBSWFDP
Ergebnis in Prozent28,5220,8016,4111,618,774,974,33
Veränderung gegenüber 2021+ 4,32+ 10,40– 9,29– 3,09+ 3,87+ 4,97– 7,07
Zweit-stimmen (in Millionen)11,19410,3278,1485,7614,3552,4682,148
Sitze im Bundestag208152120856400

Tabelle: Vorläufiges Amtliches Endergebnis (1)

Was bedeutet das Ergebnis?

Der politische Rechtsruck der letzten Jahre, der sich vor allem in einer massiven Zunahme des Rassismus ausdrückt, prägte nicht nur den Wahlkampf, sondern zeigte sich auch im Resultat, vor allem in den Zuwächsen der AfD. Diese konnte ihr Ergebnis verdoppeln und erhielt über 10 Millionen Stimmen. In allen ostdeutschen Bundesländern (außer Berlin) wurde sie stärkste Partei. Besonders dramatisch ist dabei, dass sie nicht nur kleinunternehmerische und kleinbürgerliche Schichten gewinnen konnte, sondern vor allem auch unter Menschen in schlechter wirtschaftlicher Situation (39 %) und unter den Arbeiter:innen (38 %) und Arbeitslosen (34 %) weit überdurchschnittlich abschnitt. Außerdem wurde sie auch unter den Jungwähler:innen (den 18- bis 24-Jährigen) zweitstärkste Partei. Diese Ergebnisse sind alarmierend. Auch wenn die AfD keine faschistische Partei ist, sondern eine rassistische, rechts-populistische Kraft, so stellen die rund 10 Millionen Stimmen in ihrer großen Mehrheit keine „verirrten“ Protestwähler:innen dar, sondern eine konsolidierte Wähler:innenbasis, die die AfD nicht trotz, sondern wegen ihres Rassismus wählt, den sie ähnlich der FPÖ in Österreich als reaktionäre Antwort auf die soziale Frage verkauft.

Die CDU/CSU gewann zwar die Wahlen und wird mit Friedrich Merz den nächsten Kanzler stellen. Aber ihr Erfolg hält sich in Grenzen. Sie blieb deutlich unter der 30 %-Marke und erzielte das zweitschlechteste Wahlergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik. Hinzu kommt, dass sie bei der Koalitionsbildung faktisch keine Alternative zur SPD hat. Die Unionsparteien wurden nicht wegen Merz und ihres Programms gewählt, sondern vor allem wegen der Ablehnung der Ampel, gewannen also massiv Wähler:innen von SPD und FDP, verloren aber zugleich Hunderttausende an die AfD.

Die SPD erlitt eine historische Niederlage. Sie fuhr ihr schlechtestes Ergebnis seit 1945 ein und sie verlor in ihren Hochburgen überdurchschnittlich – vor allem an CDU/CSU, aber auch Hunderttausende an AfD, Die Linke und BSW. Unter den Arbeiter:innen (12 %), Angestellten (15 %) und Arbeitslosen (13 %) schnitt die Sozialdemokratie dramatisch schlecht ab, nur unter den Rentner:innen, also vor allem Lohnarbeiter:innen im Ruhestand, konnte sie sich mit 24 % einigermaßen halten. Zu Recht wurden Scholz und Co. für die Ampelregierung, für Sozialabbau, Kürzungen und Kriegskurs abgestraft. Doch ein Kurswechsel ist nicht zu erwarten. Anders als bei der letzten „Großen Koalition“ gibt es keine innerparteiliche Opposition gegen eine Koalition mit den Konservativen, zumal die Führungen der Industriegewerkschaften auf eine solche drängen, um „Schlimmeres zu verhindern“.

Die Grünen verloren zwar wie alle Parteien der Ampel-Koalition, aber deutlich weniger als SPD und FDP. Das liegt daran, dass sie eine soziale Basis unter den lohnabhängigen Mittelschichten und in der Arbeiter:innenaristokratie haben und auch eine „liberale“ Minderheitsfraktion des Kapitals repräsentieren, die ihre Mischung aus aggressivem Kriegskurs, Sozialgedöns, Green New Deal und pseudo-demokratischem Humanismus teilt. Sie verloren allerdings 700.000 Wähler:innen an Die Linke, was vor allem an einer Absetzbewegung von Jungwähler:innen von den Grünen zur Linkspartei liegt.

Ein positives Resultat dieser Wahlen besteht zweifellos darin, dass die FDP im nächsten Bundestag nicht vertreten sein wird und uns für die nächsten Jahre Lindner und Co. erspart bleiben. Nachdem sie über drei Jahre an der Regierung stramm selbst die wenigen, begrenzten sozialen Maßnahmen blockiert oder verwässert hatte, ließ sie nicht nur die Ampel platzen, sondern führte einen Wahlkampf, als ob sie immer schon Opposition gewesen wäre. Das half aber nicht mehr, ihr „Glaubwürdigkeit“ zu verleihen, und die kleine Minderheitsfraktion des deutschen Kapitals und des Bildungsbürger:innentums, die immer schon die FDP unterstützte, erwies sich einfach als zu klein, um die 5 %-Hürde zu meistern.

Um nur wenige tausend Stimmen verpasste das BSW den Einzug in den Bundestag. Damit stellt sich für die nach rechts gehende populistische Partei Sahra Wagenknechts, deren Abgeordnete gemeinsam mit CDU/CSU, FDP und AfD für noch mehr Rassismus gestimmt hatten, die Überlebensfrage. Als ein reiner Wahlverein hat das BSW nur 1.200 Mitglieder (Anfang Januar 2025) und verfügt über keine Mobilisierungsfähigkeit. Der mediale Hype nach der Spaltung der Linkspartei ist längst vorüber, so dass sich das BSW nur schwer wird halten können. Und das wäre auch gut so, weil niemand eine Partei braucht, die sich irgendwo zwischen SPD, CDU/CSU und AfD verortet.

Der Erfolg der Linkspartei

Im Gegensatz zum generellen Rechtstrend bei den Bundestagswahlen konnte Die Linke einen Erfolg bei den Bundestagswahlen einfahren. Noch Mitte 2024 schien es unwahrscheinlich, dass sie nach katastrophalen Niederlagen bei den Europa- und etlichen Landtagswahlen überhaupt im nächsten Parlament vertreten sein würde. Allerdings war schon Ende 2024/Anfang 2025 eine Trendumkehr sichtbar, auch wenn damals niemand mit 8,77 % bei den Wahlen gerechnet hätte.

Die Linke konnte besonders gut bei Erstwähler:innen abschneiden. Unter den 18- bis 24-Jährigen wurde die Partei mit 24 % stärkste Kraft (+17 % gegenüber 2021), gefolgt von der AfD mit 21 %, was eine starke Links-rechts-Polarisierung unter der Jugend zum Ausdruck bringt. Vor allem junge Frauen votierten mit 37 % für die Linkspartei, während bei jungen Männern die AfD dominiert.

Auch wenn Die Linke 350.000 Stimmen an das BSW verlor, so konnte sie massiv von den Grünen, der SPD und auch Nichtwähler:innen gewinnen. Auch unter den Lohnabhängigen und Arbeitslosen schnitt sie deutlich besser ab als bei den Wahlen 2024 und konnte verlorenes Terrain leicht zurückgewinnen, was auch eine gewachsene Verankerung in den Gewerkschaften im Gesundheitssektor und im öffentlichen Dienst widerspiegelt. Hinzu kommt, dass sich ein Trend der letzten Jahre auch bei diesen Wahlen fortsetzte. Die Linkspartei schnitt zwar im Osten (inklusive Berlin) mit 11,8 % besser ab, errang aber auch im Westen 7,6 %. Besonders stark war sie in Berlin, wo sie bei Erst- wie Zweitstimmen mit rund 22 bzw. 20 % stärkste Partei wurde und das beste Ergebnis ihrer Geschichte einfuhr. Sie gewann allein in Berlin vier Wahlkreise, darunter mit Neukölln erst mal einen reinen Westberliner Bezirk, wo Ferat Kocak mit 30 % überlegen gewann. Insgesamt errang Die Linke sechs Direktmandate.

Der Erfolg der Linkspartei geht dabei auf mehrere Faktoren zurück. Erstens gewann sie seit der Spaltung mit Wagenknecht massiv neue Mitglieder, seit 2023 sind rund 30.000 neu eingetreten. Die Linke zählt mittlerweile rund 90.000 Mitglieder. Damit einhergehend fand eine Verjüngung der Mitgliedschaft statt. Der Wahlkampf wurde sehr viel aktiver als in den letzten Jahren geführt und Die Linke konnte sich als „soziale Kraft“ und in der Bundestagsdebatte und bei Mobilisierungen gegen die AfD als einzige für die Massen sichtbare parlamentarische Opposition zum Rassismus aller anderen Parteien profilieren.

Millionen haben Die Linke gewählt, weil sie als einzige Opposition gegen die neoliberalen Angriffe, Kürzungen, Militarisierung und Rassismus wahrgenommen wird. Das macht auch das linksreformistische Programm der Linkspartei, das den Wohlfahrtsstaat, soziale Umverteilung, Abrüstung und Pazifismus als Lösung aller Probleme präsentiert, attraktiv, weil es auch dem vorherrschenden reformistischen Bewusstsein dieser Wähler:innen entspricht.

Hinzu kommt, dass Die Linke unmittelbar nicht Gefahr läuft, in eine bedeutende Regierungsverantwortung zu kommen und daher auch leichter reformistische Wundertaten versprechen kann. Früher oder später wird die Frage der Mitverwaltung die Partei, v. a. auf Länderebene, wieder mit voller Härte treffen, zumal wenn sie weiter Wahlerfolge einfährt. Zweitens spielt sie durchaus eine aktive Rolle in sozialen Bewegungen und versucht, sich als „aktivistische“ Partei zu präsentieren.

Doch umgekehrt verfügt sie selbst über keine Strategie, selbst ihre Reformvorschläge gegen den Widerstand der herrschenden Klasse auch durchzusetzen (außer durch „rebellisches“ Mitregieren). In den Gewerkschaften ist ihr Einfluss zwar gestiegen, sie weigert sich aber beharrlich, die sozialdemokratisch geführte Bürokratie politisch zu bekämpfen oder auch nur unter Druck zu setzen. Vielmehr hofft sie darauf, in einzelnen Gliederungen selbst den Apparat zu übernehmen.

Zweitens fokussiert sich Die Linke einseitig auf die sog. „soziale Frage“, auf Sozialreformen. Natürlich ist der Kampf gegen Mietwucher, gegen Preissteigerungen, für soziale Sicherheit sehr bedeutsam. Aber zugleich versucht Die Linke, anderen zentralen Fragen auszuweichen. So gibt sie sich zwar als antirassistisch und antifaschistisch, aber sie begreift den Kampf gegen Rassismus und Faschismus, für gleiche Rechte aller Migrant:innen und Geflüchteten nicht als integralen Teil des Klassenkampfes. Daher verfolgt sie auf diesem Gebiet einerseits eine Politik der klassenübergreifenden, volksfrontartigen Bündnisse (bis hin zum imaginären, „linken“ Flügel der CDU), zweitens lehnt sie den Kampf um offene Grenzen, volle Staatsbürger:innenrechte und den Aufbau von Selbstverteidigungsstrukturen gegen rassistische und faschistische Angriffe ab. Wo sie noch mitregiert, wie in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern, akzeptiert sie stillschweigend weiter Abschiebungen und hüllt ansonsten den Mantel des Schweigens über diese reaktionäre Politik.

Vor allem aber drückt sich Die Linke, die zurzeit durchaus auch „Sozialismus“ und „Klassenpolitik“ auf ihre Fahnen schreibt, vor internationalen Fragen herum. Zum reaktionären Trump-Putin-Deal zur Ukraine ist sie rat- bis sprachlos, lehnt ihn zwar ab, doch ihre Alternative zu dieser Befriedung liegt in der utopischen Beschwörung von UN-Friedenstruppen zur Sicherung des Friedens und einer nicht näher nebulösen „europäischen Sicherheitsstruktur“. Grundsätzlich stellt sie die Bundeswehr und die „Verteidigungsfähigkeit“ Deutschlands nicht in Frage. Zu Palästina ist die Partei weiter innerlich zerstritten. Über Monate weigerte sie sich, den Genozid Genozid zu nennen. Der prozionistische, antideutsche Flügel der Partei wollte die Regierung teilweise gar rechts überholen und einige dieser Figuren verließen 2024 schließlich die Partei. Zugleich schloss die Parteiführung auch den bekannten antizionistischen Ramsis Kilani wegen parteischädigenden Verhaltens aus. Hier zeigt sich eigentlich die politische Unfähigkeit gegen die kommenden Angriffe im Inneren und Äußeren angemessen reagieren zu können.

All das zeigt, dass der Erfolg der Linkspartei politisch auf tönernen, reformistischen Füßen steht. Es beweist jedoch auch, dass es politisch richtig war, bei den Bundestagswahlen DIE LINKE kritisch zu unterstützen. Zehntausende neue Mitglieder, über vier Millionen Wähler:innen stellen eine potenzielle Kraft dar, den Angriffen des deutschen Kapitals und der nächsten Regierung Widerstand zu leisten. Nur wenn es gelingt, diese in den Betrieben, in den Gewerkschaften, auf der Straße in Bewegung zu bringen, wird es möglich sein, breitere Schichten der Klasse mitzureißen, einen Kurswechsel in den Gewerkschaften und unzufriedene Mitglieder und Wähler:innen der Sozialdemokratie, der Grünen oder auch Nichtwähler:innen zu mobilisieren und in einen aktiven Gegensatz zu ihren Parteien zu bringen.

Die Tatsache, dass die Führung der Linkspartei über keinen Plan für einen solchen Kampf verfügt, darf dabei kein Hindernis für eine aktive Intervention von Revolutionär:innen gegenüber den Mitgliedern und Wähler:innen der Partei sein. Im Gegenteil, sie eröffnet ein Feld für den gemeinsamen Kampf gegen die nächste Regierung und dafür, den Reformismus dem Praxistest und revolutionärer Kritik zu unterziehen.

Das Programm der nächsten Regierung

Das Ergebnis zeigt einmal mehr deutlich die zunehmende Erosion der „bürgerlichen Mitte“. CDU/CSU und SPD können und werden wahrscheinlich die Regierung bilden. Diese „GroKo“ verfügt jedoch nur über eine knappe parlamentarische Mehrheit – und auch das nur, weil es BSW und FDP nicht ins Parlament geschafft haben. Natürlich können die Koalitionsverhandlungen zwischen Konservativen und Sozialdemokratie langwieriger werden, als beide irgendwie erhoffen, aber die Tatsache, dass sowohl Unternehmerverbände wie auch Gewerkschaften auf diese Regierung der „staatstragenden“ Parteien drängen, macht eine rasche Regierungsbildung durchaus wahrscheinlich.

Und das Programm einer solchen Regierung wird sich gewaschen haben. Auch wenn es nicht direkt das von CDU/CSU sein wird, so ist ein Programm des politischen und ökonomischen Generalangriffs mit sozialpartnerschaftlicher Tünche zu erwarten, das mit der Agenda 2010 unter Schröder vergleichbar sein wird.

Die Umrisse sind dabei deutlich zu erkennen.

1. Massive Angriffe auf Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen und Einkommen zur „Rettung der Konkurrenzfähigkeit“ des deutschen Kapitals

In der gesamten Großindustrie stehen Entlassungen, Rationalisierungen und Flexibilisierungen der Arbeitsbedingungen an. Zweifellos wird das ein Konfliktfeld zwischen SPD und Unionsparteien darstellen, aber wie der VW-Deal gezeigt hat, sind die Gewerkschaftsführungen zu extremen Zugeständnissen bereit, um Rationalisierungsmaßnahmen im Interesse des Großkapitals „abzufedern“ und den Betriebsfrieden zu sichern, wenn sie weiter als Verhandlungspartnerinnen des Kapitals inkorporiert werden.

Dazu zählen auch massive, von der CDU/CSU forcierte Angriffe auf Bürger:innengeld, Mindestlohn, Renten wie den gesamten Sozialbereich. Um diese wird es mit der SPD und Gewerkschaften sicher Konflikte geben, umgekehrt ist auch hier zu befürchten, dass man den Unionspartei im Gegenzug für einige kosmetische Korrekturen entgegenkommt.

2. Programm zur Umstrukturierung des deutschen Kapitals

Diese Politik soll mit „Förderungen“ des Kapitals bei der Umstrukturierung wie Investitionsförderungen, Abbau von „bürokratischen“ Auflagen wie Bauvorschriften, Sicherheit oder Umwelt, kurzum also Milliardensubventionen, die von den Lohnabhängigen in Form von Schulden oder Steuern übernommen werden, flankiert werden. Die Gewerkschaftsführungen finden sich hier schon lange in Übereinstimmung mit den Unternehmerverbänden, frei nach dem Motto: Geht es dem deutschen Exportkapital gut, so fallen auch für Gewerkschaften und Beschäftigte ein paar Stückchen vom Kuchen der Extraprofite ab. Diese sozialchauvinistische Strategie war schon immer reaktionär, nationalistisch und spalterisch. In der aktuellen Lage entpuppt sie sich nicht nur als das, sondern auch als Mitgestaltung von Verlusten im historischen Ausmaß.

3. Massive Aufrüstung und Militarisierung

Alle Bundestagsparteien (außer Die Linke) stehen für ein massives Aufrüstungsprogramm. Es ist zu erwarten, dass die nächste Bundesregierung in kurzer Frist den Verteidigungshaushalt auf 3 % des BIP erhöhen will. Hunderte Milliarden sollen in deutsche und europäische Rüstungsprogramme zur Verteidigung von „Freiheit und Demokratie“ gegen Russland und neuerdings auch die USA fließen. Dabei spielt auch die Staatsverschuldung, die ansonsten immer als das größte aller Übel galt, keine Rolle mehr. Unabhängig davon, wie der Krieg um die Ukraine befriedet wird, gehen CDU/CSU, SPD und auch die Grünen von einer grundlegend veränderten globalen Lage aus, davon, dass die USA kein verlässlicher Verbündeter, sondern ein globaler Konkurrent geworden sind, der „unsere Demokratie“ und „unsere Werte“ angreift. So lässt sich ein massiver Aufrüstungskurs natürlich leichter als „Selbstverteidigung“ in der Not präsentieren und lassen sich die imperialistischen Ambitionen der ins Hintertreffen geratenen europäischen Mächte und der EU als „wehrhafte Verteidigung der Demokratie“ inszenieren. Dazu gehören neben hunderten Milliarden für deutsche und europäische Rüstungsvorhaben auch die Diskussion um die

Wiedereinführung der Wehrpflicht oder einer Dienstpflicht für alle – die AfD fordert eine Wehrpflicht von 2 Jahren! – also die innere Militarisierung.

4. Rassismus, Abschiebungen und „regulierte Migration“

Auch wenn die SPD den Unionsparteien vor den Wahlen den Bruch der Brandmauer gegen die AfD vorwarf, so gibt es eine grundlegende Übereinstimmung zwischen den Parteien bezüglich der Verschärfung der deutschen und europäischen Migrations- und Sicherheitspolitik. Wir müssen daher mit massiven Zunahmen von Abschiebungen, Abschottung der Grenzen der EU, aber auch innerhalb der EU, weiteren Vorstößen zur rassistischen Unterdrückung von Migrant:innen in Deutschland (bis hin zu Forderungen zum Entzug bestehender Staatsbürger:innenschaft) und der Kriminalisierung politischer Aktivität rechnen. Hinzu kommt, dass die Hetze wie auch die Gewalt gegen Geflüchtete und Migrant:innen schon 2024 massiv zugenommen haben und weiterzugehen drohen. Der entschlossene Kampf gegen jede Form des Rassismus, gegen alle Abschiebungen, für offene Grenzen und volle Staatsbürger:innenrechte für alle stellt nicht nur ein Gebot der Solidarität dar, er stellt auch eine Voraussetzung dar, um die tiefe rassistische Spaltung in der Arbeiter:innenklasse zu überwinden.

5. Neuformierung des deutschen und europäischen Imperialismus

Die obigen Punkte sind untrennbar mit dem schwierigsten Unterfangen für die nächste Regierung, für das deutsche Kapital und seine imperialistische Ausrichtung verbunden. Die ersten vier Punkte legen einen starken Fokus auf die Offensive der herrschenden Klasse im Inneren und zielen auf das Brechen des Widerstands der Arbeiter:innenklasse, to make Germany great again, stellen miteinander verbundene Ebenen eines gesamtgesellschaftlichen Generalangriffs dar. Doch das reicht für den deutschen Imperialismus nicht. Die Krise der EU, ihr politisches Zurückfallen hinter China, die USA und auch Russland wird durch den Trumpismus noch einmal qualitativ verschärft. Und weder die EU noch die deutsche Bourgeoisie haben eine klare, geschweige denn gemeinsame strategische Antwort darauf, wie sie dem begegnen können und werden. Vielmehr befinden sich die wichtigsten Mächte der EU – Deutschland und Frankreich – selbst in einer tiefen Krise. Selbst wenn sich die deutsche Regierung, was durchaus wahrscheinlich ist, auf einen neuen Anlauf zur stärkeren ökonomischen, politischen und militärischen Vereinigung der EU verständigen wird, so besteht erstens weiter Unklarheit über das Wie und Wohin und zweitens befindet sich das Zentrum der imperialistischen EU selbst in der Krise. Die italienische Regierung Meloni verfolgt einen USA-freundlicheren Kurs, wenn auch mit Grenzen. Frankreichs Macron präsentiert sich zwar gerne als „strategischer Vordenker“ eines eigenständigen Europas. Aber er agiert wie ein Kaiser ohne Land, der Einfluss und Kontrolle über die Einflusssphären in Afrika verliert und zugleich keine stabile Regierung im eigenen Land zu bilden vermag.

Zurzeit setzen alle bedeutenden Fraktionen des deutschen Großkapitals weiter auf die EU, wohl wissend, dass Deutschland ohne diese noch weit schwächer dastehen würde und seine ökonomischen Einflusssphären gerade in Osteuropa dringend erhalten muss. Aber an einem bestimmten Punkt kann die Krise der EU dazu führen, dass Teile des deutschen Kapitals auf eine andere globale Strategie zu setzen beginnen – und dann könnte die Stunde einer Koalition von CDU/CSU mit der AfD schlagen, die den Euro und die EU als Mittel zur „Plünderung“ Deutschlands brandmarkt.

Fazit

Der deutsche Imperialismus steckt in einer strategischen Krise. Auch wenn die deutschen Unternehmen ihre Lage gern als besonders bedrohlich ausmalen, so sind Verschärfung der globalen Konkurrenz, Überakkumulation von Kapital und fallende Profitraten Realität. Ebenso real ist das Zurückfallen hinter die chinesische und US-amerikanische Konkurrenz.

Daher müssen wir unter der Regierung Merz vom Generalangriff auf bestehende Rechte der Arbeiter:innenklasse ausgehen. Die Konkurrenzfähigkeit kann zumindest teilweise verbessert werden, indem die Einkommen der Lohnabhängigen und deren Arbeitsbedingungen angegriffen werden und somit die Ausbeutungsrate insgesamt massiv erhöht wird. Rassismus, Militarismus und Angriffe auf demokratische Rechte (z. B. auf die Palästinasolidarität) sind eng damit verbunden.

Zugleich können wir davon ausgehen, dass ein solcher Generalangriff und die laufenden ökonomischen Angriffe aufgrund der Stagnation auch zu Widerstand führen werden. Doch blieb dieser bisher sporadisch, symbolisch oder bestenfalls sektoral. Unklar ist auch, ob und wie sich ein Kern von Auseinandersetzung bilden wird, der zu einer Verallgemeinerung des Kampfes führen kann – ob eher in Sektoren wie Krankenhäusern, wo sich neue gewerkschaftliche Vorhutschichten bildeten, oder in Bereichen der Großindustrie, wo Massenentlassungen drohen. Oder ob gegen Rechtsruck und Rassismus, gegen Abschiebung unserer geflohenen oder migrantischen Kolleg:innen, wenn sie sich nicht der deutschen Staatsräson unterwerfen, oder in angeblich sichere Länder wie Syrien oder Afghanistan abgeschoben werden sollen.

In dieser Situation besteht die Aufgabe von Revolutionär:innen und allen klassenkämpferischen Teilen der Arbeiter:innenklasse darin, darzulegen, wie der Widerstand gegen die nächste Regierung formiert werden kann. Das ist untrennbar mit dem Kampf in den Gewerkschaften und Betrieben gegen jede Form der Klassenzusammenarbeit verbunden. Das heißt auch, von der SPD und ihren Mitgliedern ein Nein zu jeder Koalition mit der CDU/CSU einzufordern. Eine Schlüsselrolle nehmen dabei jene kämpferischen Schichten der Arbeiter:innen und sozialen Bewegungen ein, die in den letzten Jahren immer wieder auf die Straße gegangen sind und auch in gewerkschaftlichen und sozialen Kämpfen eine militantere Position eingenommen haben, auch wenn sie selbst vom (linken) Reformismus geprägt sind. So kann die Führungskrise der Klasse im Kampf gegen die Herrschaft des Elends zumindest ein Stück weit positiv aufgelöst werden. Es ist eine zentrale Aufgabe der Partei Die Linke, der radikalen Linken, unter Gewerkschafter:innen und in sozialen Bewegungen eine klassenkämpferische Politik gegen die kommende Regierung zu formieren. Wir müssen dazu alle Ansätze von bundesweiten Konferenzen und Versammlungen wie z. B. der Konferenz gewerkschaftliche Erneuerung vom 2. bis 4. Mai nutzen, um eine Aktionseinheit des Widerstandes aufzubauen.

Endnote

(1) Die Zahlen zum vorläufigen amtlichen Endergebnis, zu Wählerströmen, Stimmenanteilen nach Altersgruppen oder Berufstätigkeit finden sich auf

https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2025-02-23-BT-DE/index.shtml

Es muss hier noch angemerkt werden, dass die den Umfragen unter den Wähler:innen zugrundeliegenden Kategorien wie „Arbeiter“, „Angestellte“, „Beamte“ nicht marxistischen Begriffen entsprechen. Gleichwohl liefern sie eine – erschreckende – Tendenz des Abstimmungsverhaltens von Lohnabhängigen.